Lernen ohne Last

COGNITIVE LOAD Wie gut wir neue Informationen aufnehmen, hängt nicht nur vom Inhalt ab, Art und Qualität der Quellen beeinflussen das ebenfalls. Wie lässt sich kognitive Überlastung am besten vermeiden?

Dieser Artikel erschien 12/2020 in der Zeitschrift Gehirn & Geist (S. 38-42), Autorin Myriam Schlag

Die Studentin Leonie bereitet sich auf eine Prüfung zum Verdauungssystem des Menschen vor. Dazu nutzt sie verschiedene Materialien aus ihrem Biologieseminar, darunter zwei Lehrwerke, eigene Notizen und Arbeitsblätter sowie das Vorlesungsskript einer Freundin, die im letzten Jahr die gleiche Prüfung absolvierte. Leonie muss also nicht nur die physiologischen Zusammenhänge selbst verstehen, sondern auch die verschiedenen Quellen sichten und sinnvoll kombinieren.

Vor ihr auf dem Schreibtisch liegen Mitschriften, Karteikarten, Übungen, Abbildungen in Büchern und ein Tablet, auf dem sie nützliche Links gespeichert hat. Was passt von alldem zusammen? Welche Informationen überschneiden, ergänzen oder doppeln sich? Oder widersprechen sie sich womöglich in manchen Punkten? Was muss Leonie überhaupt wissen, um die Prüfung zu bestehen? Diese vielfältigen Abwägungen fordern ihr Arbeitsgedächtnis zusätzlich zum eigentlichen Lerninhalt.

Wann immer wir neue Informationen aufnehmen, entsteht dadurch eine kognitive Belastung (englisch: cognitive load). Wird sie zu groß, kann das den Lernerfolg schmälern. Daher ist es wichtig, das verfügbare Lehrmaterial so zu organisieren, dass die kognitive Last gering bleibt und möglichst viel Kapazität für den Aufbau neuen Wissens zur Verfügung steht.

Wie der australische Psychologe John Sweller in seiner einflussreichen Cognitive Load Theory bereits Ende der 1980er Jahre beschrieb, gibt es im Wesentlichen drei Arten der kognitiven Belastung beim Lernen: erstens die intrinsische, die sich aus der Komplexität des jeweiligen Gegenstands ergibt. Hier spielt das Vorwissen des Lernenden eine wichtige Rolle, denn dieselbe Aufgabe kann bei Anfängern hohe intrinsische Belastung verursachen, während Fortgeschrittene damit kaum Probleme haben.

Verschiedene Formen der mentalen Belastung

Demgegenüber hängt die extrinsische kognitive Belastung vor allem von der Art und der Gestaltung des Lehrmaterials ab. Irrelevante, redundante oder ablenkende Informationen lassen diese Form der geistigen Beanspruchung schnell anwachsen. Die dritte Variante, im Englischen »germane cognitive load« genannt (germane = in der Sache begründet), entsteht dann im Zuge des eigentlichen Lernens: Damit bezeichnet man jenen Aufwand, den der Aufbau neuer kognitiver Schemata und Wissensbestände mit sich bringt. Er hängt unter anderem von der gewählten Lernstrategie ab.

Swellers Ansatz wurde verschiedentlich von anderen Forschern kritisiert. So betonte etwa die 2010 verstorbene Psychologin Roxana Moreno von der University of New Mexico, dass nicht allein kognitive Ressourcen, sondern auch Emotionen und Motive den Lernprozess beeinflussen. Wie sich unsere Gefühle gegenüber dem zu lernenden Stoff sowie der jeweilige Antrieb, sich damit zu beschäftigen, auf den Grad der kognitiven Belastung auswirken, ist jedoch noch nicht vollständig geklärt.

In Leonies Fall lösen die konkreten Prüfungsinhalte also eine intrinsische kognitive Belastung aus, das nötige Aufarbeiten und Zusammenführen der Materialien hingegen eine extrinsische. Am besten wäre es, wenn die Studentin die volle Kapazität ihres Arbeitsgedächtnisses auf den Lernstoff verwenden könnte. Doch bekanntlich sind die meisten Lehrmaterialien nicht perfekt aufbereitet und schon gar nicht auf den Einzelfall zugeschnitten. Insofern kommt es für Leonie darauf an, die verschiedenen Quellen effizient zu organisieren.

Der Hauptfokus von Lernforschern lag lange Zeit darauf, wie man didaktisches Material und Aufgaben so gestaltet, dass die kognitive Belastung seitens der Nutzer gering bleibt. Neuere Studien ergründen dagegen, was Lernende selbst dazu beitragen können. Für dieses Selbstmanagement gibt die Cognitive-Load-Forschung eine Reihe von nützlichen Hinweisen.

Was hierbei oft zum Tragen kommt, ist das Phänomen der geteilten Aufmerksamkeit. Wenn zum Beispiel eine Abbildung und die dazugehörige Erklärung getrennt vorliegen, obwohl sie nur zusammen verständlich sind, muss der Lernende immer wieder zwischen beiden hin- und herwechseln. Um das zu vermeiden, sollten Texte und Legenden am besten direkt in eine Abbildung integriert sein. Nur so lassen sich deren Inhalte unmittelbar erfassen.

Inwiefern Lernende dies selbst steuern können, untersuchte Seedwell Sithole von der australischen University of Tasmania mit Kollegen 2017. Dazu wurden 123 Studierende, die einen Kurs in Buchführung belegt hatten,in drei Gruppen eingeteilt. Die erste erhielt einen Text und eine Grafik getrennt voneinander, bei der zweiten Gruppe war der Text ins Bild integriert, und die dritte sollte beide selbstständig zusammenführen.

Eine eigens dafür vorgesehene Anleitung umfasste drei kurze Schritte: Sortiere die relevanten Informationen im Text, ordne sie mit Pfeilen den passenden Stellen im Bild zu und markiere wichtige Schlüsselwörter. Die Studierenden wurden zweimal mit unterschiedlichen Materialien getestet, wobei beim zweiten Versuch jeweils keine Anleitung mehr gegeben wurde. So stellten die Forscher fest, ob die Lektion vom Anfang hängen geblieben war.

In beiden Durchgängen erzielten die Teilnehmer der Selbstmanagementgruppe im Schnitt bessere Ergebnisse als die der anderen beiden. Die Forscher schlussfolgern, dass das eigene, aktive Zusammenführen von Texten und Bildern mindestens gleichwertig, unter Umständen sogar hilfreicher ist, als diese Elemente von vornherein gemeinsam präsentiert zu bekommen. Ein Team um Björn de Koning von der Erasmus-Universität in Rotterdam ging in einer 2020 veröffentlichten Studie noch einen Schritt weiter. Die Psychologen wollten wissen, ob es ausreicht, wenn man Texte und Abbildungen nur mental verschiebt. Dies ist vor allem dann sinnvoll, wenn Lerner ihr Material nicht einfach verändern können, da es beispielsweise nicht digital, sondern in Buchform vorliegt. Mentales Verschieben bedeutet, zusammengehörende Bilder und Texte im Geist zu kombinieren.

Irrelevante, redundante oder ablenkende Informationen erhöhen die geistige Beanspruchung

Zuordnen ist gut, im Geist noch besser

Die Forscher testeten ebenfalls drei Gruppen von insgesamt 87 Psychologiestudenten, die sich die physikalischen Grundlagen des Stromkreislaufs zu Gemüte führen sollten. Eine Gruppe erhielt ein Training im mentalen Verschieben und wandte diese Technik danach selbstständig an. Die zweite Gruppe ordnete die Textpassagen auf einem gesonderten Blatt den Abbildungen zu. In der dritten arbeiteten die Studenten mit getrennten Texten und Abbildungen, was ein hohes Maß an geteilter Aufmerksamkeit verlangte.

Jetzt schnitten jene Studenten, die die Inhalte mental verschoben hatten, am besten ab. Aber warum lernten Probanden, die die Texte den Abbildungen händisch zuordneten, schlechter? Die Forscher vermuten, dass das Hantieren mit Pfeilen oder Unterstreichungen die Betreffenden daran gehindert haben könnte, die Inhalte tiefgehender zu verarbeiten. Dagegen mussten jene, die Texte und Bilder im Geist verschoben, genauer darüber nachdenken.

Leonie kennt dieses Problem. Sie fand im Internet anschauliche Abbildungen zum Verdauungssystem, die jedoch entweder gar nicht oder in einer Fremdsprache beschriftet waren. Jetzt möchte sie diese Darstellungen mit den Informationen aus dem Seminar und ihrem Online-Lehrbuch zusammenbringen. Da Leonie die Bilder digital anpassen und ausdrucken kann, fügt sie die Beschriftungen selbst ein und markiert die entsprechenden Stellen in der Abbildung.

Nun kommt es häufig vor, dass unterschiedliche Lernmaterialien zu einem Thema gleiche oder ähnliche Informationen enthalten und somit redundant sind. Das kann einerseits durchaus lernförderlich sein, da die Wiederholung hilft, Fakten und Zusammenhänge ins Langzeitgedächtnis zu überführen. Kognitiv belastend wird es allerdings dadurch, dass man überhaupt erst einmal erkennen muss, welche Aspekte sich doppeln. Während Experten dies schnell erfassen, fällt es Anfängern oft schwer. Auch hier stellt sich die Frage, wie Lernende am besten damit umgehen sollten. 2017 untersuchte Faisal Mirza dies bei Schülern der 5. und 6. Klassenstufe. Die Kinder sollten kurze Erklärungen zum Wasserkreislauf in der Erdatmosphäre passenden Abbildungen zuordnen. Einige Schüler arbeiteten ganz ohne überschneidende Informationen, andere dagegen mit vielen Redundanzen. Die dritte Gruppe erhielt zusätzlich zu den Dopplungen noch eine kurze Anleitung: Sie sollten die Abbildungen und Erklärungen genau lesen und jene streichen, die nichts Weitergehendes zum Verständnis beitrugen. Einige Texte lieferten dabei ergänzende Fakten, andere wiederholten jedoch nur, was im Bild zu sehen war.

Redundanz hat Vor- und Nachteile

Die Leistung der Schüler mit Anleitung unterschied sich hierbei nicht von der jener Kinder, die keine inhaltlich überschneidenden Informationen erhielten. Die Anleitung zum Selbstmanagement bot den Schülern also offenbar keinen Vorteil gegenüber dem bereits aufgearbeiteten Lehrmaterial. Woran das genau lag, blieb unklar. Die Autoren hatten darauf geachtet, dass redundante Informationen im Test auch wirklich redundant waren, also exakte Wiederholungen darstellten. Womöglich blendeten die Lernenden diese spontan aus, ohne einer speziellen Aufforderung zu bedürfen. Oder die Schüler waren noch zu jung, um derlei Techniken bewusst anzuwenden.

Leonie sollte ihr Material jedenfalls genau prüfen. Sie muss dabei überlegen, was sich inhaltlich doppelt, welche Inhalte identisch sind und wo neue Informationen auftauchen. Für diesen Abgleich orientiert sie sich etwa an Überschriften und Schlüsselwörtern. Auch Zusatzelemente wie dekorative Bilder oder weiterführende Fakten (englisch: seductive details) können die kognitive Belastung erhöhen. Solche Elemente sollen das Lernen interessanter machen und so die Motivation fördern. Doch sie können hinderlich sein – vor allem, wenn Schüler oder Studierende nicht erkennen, dass das »Lametta« zum eigentlichen Lernziel nichts beiträgt. Der Versuch, relevante von irrelevanten Inhalten zu unterscheiden, beansprucht unter Umständen kognitive Ressourcen. Was kann man tun?

Wann Zusatzinfos mehr ablenken als helfen

Alexander Eitel und seine Kollegen an der Universität Freiburg untersuchten 2019, wie sich derartige interessante Details auf das Lernen auswirken. 83 Studierende lernten, wie Blitze bei einem Gewitter entstehen, wobei man ihnen entweder zusätzliche Abbildungen oder Textblöcke präsentierte oder nicht. Manche Teilnehmer wurden darüber aufgeklärt, dass nebensächliche Informationen etwa zu den Folgen von Blitzeinschlägen im anschließenden Test nicht zur Sprache kämen, sie wären daher irrelevant. Die entscheidenden Fakten waren zusätzlich mit einem roten Rahmen gekennzeichnet.

Wie die Auswertung ergab, schnitt die Gruppe mit interessanten Details im Test am schlechtesten ab. Das Lernen ohne solche Extras klappte hingegen ebenso gut wie bei denjenigen, die man explizit auf die Irrelevanz hingewiesen hatte. Offenbar sind ergänzende Informationen also kein Problem, solange Lernende wissen, welche Elemente wirklich etwas zur Sache tun und welche nicht. Bewusste Aufmerksamkeit hilft!

Bei der Internetrecherche fiel Leonie auf, dass sie schnell vom eigentlichen Thema abkam. Manche Lehrbücher bieten Exkurse, unterhaltsame Bildergeschichten oder Anregungen zum Weiterlesen. Um möglichst nah an ihrem Lernziel zu bleiben, hat Leonie sich alle Prüfungsthemen genau notiert. Diese bearbeitet sie zuerst. Daneben stellt sie alle Fragen zusammen, bei denen sie sich unsicher ist, ob sie in der Prüfung eine Rolle spielen. Erst nachdem sie die Prüfungsthemen im engeren Sinn bearbeitet hat, kommt sie auf die Liste mit den »Bonusfragen« zurück.

Unter dem Strich zeigt die Forschung, dass Lernende selbst etwas dafür tun können und sollten, ihre kognitive Belastung zu begrenzen. Zudem sind entsprechende Selbstmanagement-Trainings oder Anleitungen im Prinzip sinnvoll. Ob diese Tipps langfristig verinnerlicht werden, ist damit allerdings nicht gesagt. Leonie hat verschiedene Möglichkeiten ausprobiert. Sie fügte Abbildungen und Texte zusammen, indem sie selbst beschriftete, Pfeile und Markierungen einfügte oder Elemente mental verschob. Sie überlegte genau, was inhaltlich zusammenpasst, und überprüfte ihre Quellen nach Überschneidungen. So erkannte sie recht genau, welche Informationen sie schon kannte und was neu war. Zudem klopfte sie ihr Lehrmaterial daraufhin ab, ob eine Abbildung nur dekorativ war oder wirklich etwas zum Lernstoff beitrug. So konnte sie sich ganz auf die Inhalte ihrer Prüfung konzentrieren.

Auf einen Blick: Praktische Merkhilfe

1 Lernerfolg hängt nicht nur davon ab, wie komplex und umfangreich die betreffenden Inhalte sind; die Präsentation des Lehrmaterials hat ebenfalls großen Einfluss.

2 Schlecht organisierte Quellen erhöhen die kognitive Belastung (englisch: cognitive load). Denn Lernende müssen dann vermehrt Wichtiges von Unwichtigem trennen.

3 Dann kann bewusstes Selbstmanagement helfen: etwa Informationen vorab im Geist sortieren, Redundanzen entdecken und sich von unterhaltsamen Details nicht ablenken lassen.

Quellen

Eitel, A. et al.: Are seductive details seductive only when you think they are relevant? An experimental test of the moderating role of perceived relevance. Applied Cognitive Psychology 33, 2019

De Koning, B. B.: Learning from split-attention materials. Effects of teaching physical and mental learning strategies. Contemporary Educational Psychology 61, 2020

Mirza, F.: Self-management of cognitive load. Potential und challenges. In: Tindall-Ford, S. et al. (Hg.): Advances in cognitive load theory. Rethinking teaching. Routledge, 2020, S. 157–167

Moreno, R.: Cognitive load theory. More food for thought. Instructional Science 38, 2010

Sithole, S. T. M. et al.: Benefits of guided self-management of attention on learning accounting. Journal of Educational Psychology 109, 2017

Sweller, J. et al.: Cognitive architecture and instructional design. 20 years later. Educational Psychology Review 31, 2019

Dieser Artikel im Internet: www.spektrum.de/artikel/1780596