Wenn alles schläft und einer spricht, so nennt man dieses Unterricht. Anschießend grübelt dann jeder für sich über den Hausaufgaben. Vielleicht ist es aber auch Zeit mal alles auf den Kopf zu stellen: Wenn alle vorbereitet zum Unterricht kommen und dann aktiv arbeiten und gemeinsam lernen, nennt man dieses Flipped Classroom.
[Anmerkung zum Text: Ich rede im Text von „Lernern“ und „Lehrern“, gemeint sind damit grundsätzlich alle Geschlechter. Außerdem beziehen sich diese Bezeichnungen nicht nur auf Personen in der Schule, sondern beispielsweise auch auf die Ausbildung und auf alle weiteren Lernumfelder.]
Was beinhaltet das Flipped-Classroom-Konzept?
Flipped Classroom (oder auch Inverted Classroom) bedeutet, dass das klassische Konzept des Unterrichtens umgedreht wird. Während beim klassischen Konzept Lehrer in Präsenzphasen neue Inhalte an die Lerner vermitteln, erledigen Lerner Übungen und Vertiefungsaufgaben meist als Hausaufgabe. Beim Flipped-Classroom-Konzept hingegen erarbeiten sich die Lerner den Lernstoff eigenständig zuhause, beispielsweise mithilfe von Lernvideos. In den Präsenzphasen werden dann die Fragen der Lerner zum Lernstoff geklärt und Übungen, Projekte, Diskussionen und Vertiefungen gemeinsam als Lerngruppe durchgeführt. Der Lehrer unterstützt die Lerner dabei mit seinem Expertenwissen. Kurzum, beim Flipped Classroom nutzt man die Unterrichtszeit für die Wissensvertiefung und nicht zur Lernstoffvermittlung.
Vor- und Nachteile des Flipped-Classroom-Konzepts
Das Konzept des Flipped Classrooms bietet für Lerner und Lehrer einige Vorteile. Lerner können sich den Lernstoff in ihrem eigenen Tempo erarbeiten. Das bedeutet, dass sie Texte in Ruhe oder mehrmals lesen oder Lernvideos stoppen und zurückspulen können, wenn sie etwas nicht verstanden haben. Lerner erhalten dabei mehr Verantwortung für ihren Lernprozess und müssen sich beim Lernen organisieren und regulieren. Es handelt sich somit um einen lernerzentrierten Ansatz. Darüber hinaus kann die Präsenzzeit in der Lerngruppe für aktives Lernen und Problemlösen genutzt werden, beispielsweise durch Projektarbeit. Lerner grübeln nun nicht mehr allein über ihren Hausaufgaben, sondern können sich gegenseitig unterstützen oder Hilfe vom Lehrer erhalten. Dabei werden auch Softskills, wie Teamfähigkeit, Kommunikationsfähigkeiten, Umgang mit Informationen oder kritisches Denken gefördert.
Doch das Flipped-Classroom-Konzept bringt auch Herausforderungen mit sich. Der Arbeitsauswand für Lerner und Lehrer steigt. Daher ist der Ansatz bei Lernern oft nicht sehr beliebt, da sie den Eindruck haben, so mehr lernen und arbeiten zu müssen. Besonders für Lerner, die ihr Lernen nicht selbstständig organisieren und regulieren können, wird es schwierig, sich den Lernstoff selbstständig anzueignen. Dies ist jedoch die Basis für nachfolgende Aktivitäten. Doch auch Lehrer müssen sich für dieses Konzept stärker vorbereiten sowie besser strukturieren und organisieren. Zusätzlich können technische Probleme mit Lernvideos oder Lernplattformen auftreten.
Forschungsergebnisse zu Flipped Classroom
Verschiedene aktuelle Metaanalysen, die verschiedene Studien zusammenfassen, ergaben einen kleinen bis mittleren positiven Effekt des Flipped-Classroom-Konzepts auf die Leistung der Lerner. Das bedeutet, dass das Konzept durchaus einen Mehrwert im Vergleich zum klassischen Unterrichtskonzept bringt. Jedoch sollte man bedenken, dass Flipped Classroom nur eine Art Rahmen ist. Die genauen pädagogischen Methoden und Vorgehensweisen werden damit nicht festgelegt. Daraus ergibt sich schnell die Frage: Was genau wirkt eigentlich beim Flipped-Classroom-Konzept? Die Forscher müssen diese Frage erst noch beantworten. Sie vermuten aber, dass der positive Effekt des Konzepts aus den aktiven Präsenzphasen kommt, bei denen Lerner oft gemeinsam an Projekten oder Problemen arbeiten.
Tipps zur Umsetzung des Flipped-Classroom-Konzepts
- Greifen Sie offene Fragen der Lerner zu Beginn jeder Präsenzsitzung auf. Achten Sie dabei auf Fehlkonzepte der Lerner.
- Stellen Sie den Lernern Wissenstests oder Quiz-Fragen zur Verfügung, mit denen diese überprüfen können, ob sie die Lerninhalte verstanden haben. Günstig ist dabei, wenn es sich um einen Onlinetest handelt, bei dem die Lerner direkt Rückmeldung zu ihren Antworten erhalten.
- Nutzen Sie die Präsenzlernphase für Gruppenarbeiten, Übungen, Projekte, Wissensanwendung oder problembasiertes Lernen.
- Geben sie am Ende jeder Sitzung einen Ausblick auf den nächsten Lernstoff, den die Lerner selbstständig erarbeiten sollen.
Mein Kommentar:
Ich kenne das Flipped-Classroom-Konzept aus meiner Zeit als Hochschuldozentin. Mir hat das Konzept gefallen, da ich es irgendwann leid war, jedes Semester die gleichen Lerninhalte zu präsentieren. Daher hat meine damalige Abteilung die Lerninhalte als kleine Video-Podcasts mit dazugehörigen Texten ausgelagert. In der Seminarzeit war dann mehr Zeit für Fragen, Übungen und Diskussionen. Das funktioniert natürlich nicht mit allen Lehrinhalten und es gibt immer wieder Lerner, die sich nicht vorbereiten. Flipped-Classroom ist also kein Allheilmittel, sondern eine Möglichkeit, Lernen anders zu gestalten. Ich glaube, dass das Konzept vor allem bei erfahreneren Lernen gut ankommt, die etwas mehr auf ihre Art lernen wollen (z.B. zu ihrer bevorzugten Tageszeit, in ihrem Tempo). Außerdem kann es hilfreich sein, wenn Lerner in den Präsenzphasen an Projekten arbeiten, zu denen es noch keine richtige oder vorgegebene Lösung durch den Lehrer gibt (z.B. eigene Forschungsprojekte).
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Quellen
Låg, T., & Sæle, R. G. (2019). Does the Flipped Classroom Improve Student Learning and Satisfaction? A Systematic Review and Meta-Analysis. AERA Open, 5(3). https://doi.org/10.1177/2332858419870489
Strelan, P., Osborn, A., & Palmer, E. (2020). The flipped classroom: A meta-analysis of effects on student performance across disciplines and education levels. Educational Research Review, 30, 100314. https://doi.org/10.1016/j.edurev.2020.100314
Wagner, M., Gegenfurtner, A., & Urhahne, D. (2021). Effectiveness of the Flipped Classroom on Student Achievement in Secondary Education: A Meta-Analysis. Zeitschrift Für Pädagogische Psychologie, 35(1), 11–31. https://doi.org/10.1024/1010-0652/a000274