Alles unter Kontrolle – wie Selbstkontrolle das Lernen beeinflusst

Mit dem Handy im Internet rumgucken oder für den morgigen Test lernen? Während das Handy sofortigen Spaß verspricht, bringt es langfristig jedoch nichts für den angestrebten Abschluss. Hingegen wäre eine gute Note im Test für den Abschluss hilfreich, ist aber jetzt gerade eher langweilig und anstrengend. Die Frage ist also: Handy oder Lernen?

[Anmerkung zum Text: Ich rede im Text von „Lernern“ und „Lehrern“, gemeint sind damit grundsätzlich alle Geschlechter. Außerdem beziehen sich diese Bezeichnungen nicht nur auf Personen in der Schule, sondern beispielsweise auch auf die Ausbildung und auf alle weiteren Lernumfelder.]

Selbstkontrolle – was ist das?

„Selbstkontrolle ist selbstinitiiert und betrifft die Regulation von Gedanken, Gefühlen und Handlungen, wenn langfristige Ziele mit momentanen belohnenden Zielen im Konflikt stehen“ (Duckworth et al, 2019, S. 374).

Selbstregulation geht also vom Lerner selbst aus. Wenn der Lerner einfach nur der Ermahnung des Lehrers folgt, ist es demnach keine Selbstregulation. Ebenso wichtig ist, dass Selbstregulation sich nicht nur auf Handlungen bezieht, sondern auch auf Gefühle und Gedanken.

In der Psychologie gibt es noch andere Begriffe, die dem Konstrukt Selbstkontrolle ähnlich sind, beispielsweise Selbstreguliertes Lernen, Selbstkontrolle (außerhalb der Pädagogischen Psychologie) und exekutive Funktionen. In der Persönlichkeitspsychologie lässt sich Selbstkontrolle als eine Facette der Gewissenhaftigkeit oder Verträglichkeit (im Big Five-Persönlichkeitsmodell) einordnen.

Selbstkontrolle zeichnen jedoch zwei Eigenschaften aus, welche die anderen Konstrukte nicht besitzen:

  1. Selbstkontrolle ist selbstinitiiert.
  2. Es gibt bei der Selbstkontrolle immer zwei Ziele, die im Konflikt zueinander stehen, wobei ein Ziel langfristig wertvoller ist, während das andere kurzfristig attraktiver ist. (Erinnern Sie sich an das Einführungsbeispiel: Handy oder Lernen?)

Selbstkontrolle und Lernen

Warum brauchen Lerner Selbstkontrolle? Weil Lerner erkennen müssen, dass Lernen und Arbeiten für einen Abschluss und somit für ihre Zukunft nützlich ist, auch wenn sie aktuell keinen Spaß daran haben, zu Lernen oder Aufgaben zu bearbeiten. Die Versuchung sich als Lerner durch digitale Medien ablenken zu lassen ist dabei in den letzten Jahren natürlich noch größer geworden. In Studien hat sich gezeigt, dass sich durch Selbstkontrolle auch andere Aspekte des Schulerfolgs vorhersagen lassen, beispielsweise die Noten der Lerner und ob Lerner ihren Abschluss überhaupt erreichen.

Wie funktioniert Selbstkontrolle?

Das Prozessmodell nach Duckworth erklärt, wie Impulse beim Lerner entstehen. Das Modell ist als Kreislauf zu verstehen und besteht aus vier Stufen, die der Lerner durchläuft: Situation, Aufmerksamkeit, Bewertung und Reaktion. Um das Modell gleich am Beispiel zu erklären, lassen sich zwei Lerner-Reaktionen unterscheiden: die mit dem akademischen Ziel übereinstimmende Reaktion und die mit dem akademischen Ziel nicht übereinstimmende Reaktion.

Prozessmodell nach Duckworth

Mit dem akademischen Ziel übereinstimmende Reaktion:

  • Situation: Der Lerner geht zum Schreibtisch und sieht seinen Lernhefter und sein blinkendes Handy.
  • Aufmerksamkeit: Die Aufmerksamkeit des Lerners geht zum Lernhefter.
  • Bewertung: Der Lerner erinnert sich, dass er einen guten Abschluss am Ende des Jahres machen und danach in seinem Wunschberuf arbeiten möchte.
  • Reaktion: Der Lerner schlägt den Lernhefter auf und nimmt den Stift in die Hand.

Der Lerner hat es also geschafft, dem Handy zu widerstehen, und hat beschlossen zu lernen.

Da es sich um ein kreisförmiges Prozessmodell handelt, beeinflusst die Reaktion des Lerners auch die Situation in der er sich gerade befindet und der Kreislauf könnte von ihm erneut durchlaufen werden. Ausgangspunkt wäre dann, dass der Lerner nicht mehr vor dem Schreibtisch steht, sondern in seinem Hefter liest und einen Stift in der Hand hält.

Mit dem akademischen Ziel nicht übereinstimmende Reaktion:

  • Situation: Der Lerner geht zum Schreibtisch und sieht seinen Lernhefter und sein blinkendes Handy.
  • Aufmerksamkeit: Die Aufmerksamkeit des Lerners geht zum Handy.
  • Bewertung: Der Lerner möchte gerne wissen, welche Neuigkeiten es in Social-Media Kanälen gibt.
  • Reaktion: Der Lerner nimmt sein Handy und scrollt durch Social-Media-Neuigkeiten.

Der Lerner hat sich nicht für das Lernen, sondern für das Handy und die Neuigkeiten entschieden.

Wie kann man seine Impulse regulieren?

Jüngere Kinder verlassen sich auf Erwachsene, wenn ihre Selbstkontrollfähigkeit noch nicht ausreicht. Aber wenn sie älter werden, müssen sie lernen, schwierige Situationen, die Selbstkontrolle erfordern, selbstständig zu meistern. Dazu gibt es verschiedene Tricks und Strategien, die sich den einzelnen Stufen nach dem Prozessmodell nach Duckworth zuordnen lassen.

Situationsstrategien:

  • Die Situation, in die sich der Lerner begibt: Eine Bibliothek veranlasst Lerner eher zum Lernen als das heimische Sofa.
  • Veränderung der Situation: Lerner können Versuchungen auch aktiv aus dem Weg gehen, indem sie beispielsweise das Handy in ein anderes Zimmer legen, während sie lernen.
  • Deadlines oder selbst festgelegte Verträge, deren Nichteinhaltung Kosten nach sich ziehen, können die Selbstkontrolle der Lerner unterstützen ebenfalls unterstützen.
  • Belohnungen für erwünschtes akademisches Verhalten funktionieren noch besser als Strafen.

Aufmerksamkeitsstrategien:

  • Ausrichtung der Aufmerksamkeit auf den gewünschten Impuls (den Lernhefter aufschlagen), schwächt den unerwünschten Impuls (das Handy zu nehmen). Das ändert natürlich nichts daran, dass sowohl das Handy und als auch der Lernhefter auf dem Tisch liegen. Jedoch verändert sich die subjektive Erfahrung.
  • Selbst-Monitoring ist eine Form der Selbstbeobachtung, um Abweichungen vom gewünschten Verhalten zu bemerken. Das braucht natürlich viel Aufmerksamkeit. Alternativ kann man auch gelegentlich die gewünschte Zukunft mit den aktuellen Hindernissen abgleichen. Sich vorzustellen, wie man Stolz seinen Abschluss in den Händen hält und sich gleichzeitig vorzustellen wie viel Zeit man im Internet verschwendet, kann dazu führen, dass Lerner mehr Energie fürs Lernen aufbringen.
  • Achtsamkeit: Mit der Hilfe von Achtsamkeit können Lerner den Konflikt zwischen verschiedenen Zielen besser wahrnehmen und somit bemerken, dass in einer bestimmten Situation ihre Selbstkontrolle überhaupt notwendig ist.

Bewertungsstrategien

  • Das eigene Denken verändern: Die Art und Weise wie Lerner ihre Umgebung bewerten ist subjektiv. Daher ist es hilfreich, wenn Lerner die Vorbereitung auf den Test positiv bewerten, beispielsweise als ein weiterer Schritt in Richtung Wunschberuf. Im Gegensatz dazu können Lerner ihr Handy als Zeitfresser bewerten.
  • Wert und Erwartungen verändern: Lerner schätzen den Wert von akademischer Arbeit höher ein, wenn Sie eine Verbindung zu ihren Interessen und persönlichen Zielen sehen (z.B. ihrem Berufswunsch). Doch auch die Erwartungen, das Ziel überhaupt zu erreichen, spielen für Lerner eine wichtige Rolle. Hier gibt es eine Verbindung zu den Themen Selbstwirksamkeitserwartung und Mindset und dem berühmten Marshmallow-Experiment von Walter Mischel.

Reaktionsstrategien

  • Willenskraft: Das bedeutet, dass man sich zum Lernen zwingt und das Handy mit aller Macht ignoriert. Dies führt jedoch oft zu Ermüdung, negativen Emotionen und letztlich zum Scheitern. Seine Impulse auf der Ebene der Reaktion zu verändern ist somit am schwierigsten und sollte nur als letzte Möglichkeit genutzt werden.

Die Abkürzung

Eigentlich gibt es ja im Leben keine Abkürzungen. Bei der Selbstkontrolle jedoch schon und zwar von der Situation zur Aufmerksamkeit und dann direkt zur Reaktion. Die Bewertung wird somit ausgelassen. Das funktioniert mit der Hilfe von Plänen, persönlichen Regeln und Gewohnheiten.

  • Pläne verbinden zukünftige Situationen mit gewünschten Verhalten: Der Lerner beschließt, dass er heute 14 Uhr zum Schreibtisch geht und für 30 Minuten lernt.
  • Persönliche Regeln verbinden Situationen mit gewünschten Verhalten: Der Lerner beschließt, jeden Tag nach dem Abendessen wiederhole ich 10 Vokabeln.
  • Gewohnheiten sind gelernte Wenn-Dann-Verbindungen, die ebenfalls bestimmte Situationen mit bestimmtem Verhalten verknüpfen. Im Gegensatz zu Plänen, werden Gewohnheiten jedoch automatisch und ohne viel Nachdenken ausgeführt. Um sich etwas zur Gewohnheit zu machen, kann es jedoch Wochen oder Monate dauern.

Erfolgreich umgesetzte Pläne können zu persönlichen Regeln und diese wiederum nach einiger Zeit zu Gewohnheiten werden.

Mein Kommentar:

Ich habe oft den Eindruck, dass Selbstkontrolle ein großes Thema beim Lernen ist. Insbesondere Lehrer beschweren sich, dass Lerner heutzutage weniger Selbstkontrolle (und Disziplin) hätten und sich schnell ablenken lassen. Fairerweise sollte man berücksichtigen, dass sehr viele Menschen Probleme mit Selbstkontrolle beispielsweise bei der Handynutzung haben. Daher denke ich, dass jeder bei sich selbst das Thema Selbstkontrolle kritisch hinterfragen und beobachten sollte. Doch auch das Gespräch mit den Lernern kann bei diesem Thema lohnenswert sein. Zeigen Sie ihnen konkrete Lösungshilfen auf, zum Beispiel in Form von Plänen, Regeln und Gewohnheiten.

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Quelle:

Duckworth, A. L., Taxer, J. L., Eskreis-Winkler, L., Galla, B. M. & Gross, J. J. (2019). Self-Control and Academic Achievement. Annual review of psychology, 70, 373–399. https://doi.org/10.1146/annurev-psych-010418-103230