Unsere Lernziele – Zielstruktur im Unterricht

Welche Ziele betonen Sie in Ihrem Unterricht? Sollen Ihre Lerner etwas dazulernen? Oder geht es ausschließlich um gute Noten? Auch Sie beeinflussen die Ziele Ihrer Lerner. Erfahren Sie in diesem Beitrag, mit welchen Maßnahmen Sie Ihre Lerner dabei unterstützen können, motivierende Lernziele zu setzen.

[Anmerkung zum Text: Ich rede im Text von „Lernern“ und „Lehrern“, gemeint sind damit grundsätzlich alle Geschlechter. Außerdem beziehen sich diese Bezeichnungen nicht nur auf Personen in der Schule, sondern beispielsweise auch auf die Ausbildung und auf alle weiteren Lernumfelder.]

Individuelle Ziele von Lernern

Lerner verfolgen beim Lernen verschiedene Ziele, die sie sich selbst setzen. Dabei kann man zwei Arten von Zielen unterscheiden: Lernziele und Performanzziele. Setzt ein Lerner sich Lernziele, möchte er seine Fähigkeiten erweitern. Für ihn ist der Lernprozess wichtig. Bei Performanzzielen stehen hingegen die Leistung und das Ergebnis im Vordergrund. Der Lerner möchte zeigen, was er kann. Performanzziele unterscheiden sich weiterhin in eine Annäherungskomponente und in eine Vermeidungskomponente. Lerner möchten bei der Annäherungskomponente ihre Fähigkeiten zeigen und verbessern. Bei der Vermeidungskomponente möchte der Lerner seine Defizite verstecken und Fehler vermeiden.

In verschiedenen Forschungsergebnissen zeigte sich, dass Lernziele sich positiv auf den Lernprozess auswirken (u. a. mehr Interesse am Lernstoff, mehr Anstrengung, geeignetere Lernstrategien). Performanzziele mit Vermeidungskomponente wirken sich dagegen negativ auf das Lernen aus (u. a. schlechtere Leistungen, Prüfungsangst, weniger Anstrengung). Die Annäherungskomponente beeinflusste kurzfristig die Lernleistung positiv.

Ziele auf Gruppen oder Klassenebene

Lernziele, die sich Lerner setzen, werden jedoch nicht nur durch individuelle Faktoren, sondern auch durch den Kontext – in diesem Fall durch die Klassenzielstruktur – beeinflusst. Das Handeln des Lehrers im Unterricht prägt die Klassenzielstruktur und diese wirkt auf die individuelle Zielsetzung der Lerner zurück. Die Klassenzielstruktur kann ebenfalls in Lernziele und Performanzziele unterschiedenen werden. Je nachdem, ob Lehrer in ihrem Unterricht betonen, dass es wichtig ist, seine Fähigkeiten weiterzuentwickeln (Lernziel) oder gute Noten zu erhalten (Performanzziel), werden auch die Lerner ihre Lernaktivitäten entsprechend anpassen.

Die Autoren Benning et al. (2019) fassen die Lernzielorientierung so zusammen:

„Je stärker Schüler(innen) wahrnehmen, dass es im Unterricht um Verständnis, Lernzuwachs und individuelle Verbesserungen geht,

  • desto intrinsisch motivierter sind sie,
  • desto engagierter und ausdauernder verfolgen sie Lernaktivitäten,
  • desto weniger Aufschiebeverhalten zeigen sie,
  • desto angemessener setzen sie Lernstrategien ein,
  • desto günstiger reagieren sie auf Fehler,
  • desto häufiger wählen sie freiwillige Lernaktivitäten,
  • desto weniger störendes Verhalten zeigen sie und
  • desto bessere Lernerträge erzielen sie“ (S. 256).

Modelle mit konkreten Hinweisen für die Praxis

Die zwei nachfolgenden Modelle liefern konkrete Hinweise, wie die Lernzielstruktur im Unterricht umgesetzt werden kann.

Modell TARGET

(Epstein, 1989; Ames, 1992)

TARGET ist ein Akronym und beinhaltet die folgenden Dimensionen:

  • Task (Aufgabenstellung): z.B. Lernaktivitäten in Teilschritte und Teilziele zerlegen
  • Authority (Autorität und Autonomie): z. B. Lerner haben die Möglichkeit Entscheidungen zu treffen und die Führungsaufgaben wahrzunehmen
  • Recognition (Anerkennung): z.B. Lehrer erkennen die individuellen Lösungsansätze der Lerner an
  • Grouping (Gruppierung): z.B. Lehrer vermitteln die Grundlagen zur effektiven Gruppenarbeit
  • Evaluation (Bewertung): z.B. Lehrer verwenden individuelle und kriteriale Bezugsnormen
  • Timing (Zeit): z.B. Lerner erhalten die Gelegenheit zur eigenverantwortlichen Zeitplanung ihrer Lernaktivitäten

Modell IBAS

(Benning, Praetorius, Janke, Dickhäuser & Dresel, 2019)

Das IBAS-Modell ist eine Weiterentwicklung des TARGET-Modells und besteht aus vier Dimensionen. (Zu jeder Dimension finden Sie Beispielaussagen aus einem Schüler-Fragebogen, welche der Studie von Benning et al. (2019) entnommen sind. Diese sollen die Dimensionen veranschaulichen.)

  • Inhaltsdimension:
    • Verständlichkeit: „Unser Lehrer/unsere Lehrerin unterrichtet so verständlich, dass man auch schwierige Sachen begreift.“
    • Interessantheit & Relevanz: „Unser Lehrer/unsere Lehrerin zeigt uns an Beispielen aus dem täglichen Leben, wozu man den Stoff brauchen kann.“
    • Kognitive Aktivierung: „Unser Lehrer/unsere Lehrerin stellt Aufgaben, die keine eindeutige Lösung haben, und lässt diese erklären.“
    • Leistungsdifferenzierung: „Wenn wir im Unterricht Gruppen- oder Partnerarbeit machen, arbeiten die besseren Schüler(innen) miteinander und die schlechteren Schüler(innen) miteinander.“
  • Bewertungsdimension:
    • Individuelle Bezugsnormorientierung: „Mein Lehrer/meine Lehrerin meint, ein gutes Ergebnis ist, wenn es besser ist als das Ergebnis davor.“
    • Positives, konstruktives Fehlerklima: „Bei uns im Unterricht sind Fehler für unseren Lehrer/unsere Lehrerin nichts Schlimmes“.
    • Anstrengungsbezogenes Feedback: „Wenn wir gute Leistungen erbringen, sagt uns unser Lehrer/unsere Lehrerin, dass wir uns genügend Mühe gegeben haben.“
  • Autonomiedimension:
    • Wahlmöglichkeiten: „Bei uns im Unterricht kann ich manchmal mitbestimmen bei der Unterrichtsgestaltung.“
    • Eigenverantwortung: „Bei uns im Unterricht werden wir zum selbstständigen Arbeiten ermuntert.“
  • Soziale Dimension:
    • Kooperative Lernform: „Bei uns im Unterricht verwendet der Lehrer/die Lehrerin Aufgaben, bei denen wir zusammen arbeiten müssen.“
    • Leistungsheterogene Gruppenbildung: „Wenn wir im Unterricht Gruppen- oder Partnerarbeit machen, sind in jeder Gruppe unterschiedlich gute Schüler(innen).“
    • Wertschätzender & fürsorglicher Umgang: „Bei uns im Unterricht fühle ich mich von meinem Lehrer/meiner Lehrerin verstanden und unterstützt.“
    • Förderung positiver Schüler-Schüler-Interaktion: „Die meisten Kinder in der Klasse sind freundlich zu mir.“

Alle aufgezählten Praktiken wirken positiv auf die Lernzielkultur. Um die Lernzielstruktur im Unterricht zu fördern, sollte man jedoch nicht einzelne Dimensionen und Aspekte des IBAS-Modells fokussieren, sondern deren Zusammenspiel berücksichtigen.

Mein Kommentar:

Das Thema „Zielstruktur im Unterricht“ beantwortet die (häufig gestellte) Frage, was Lehrer tun können, um ihre Lerner zu motivieren. Die Zielstruktur funktioniert dabei wie ein Rahmen für die Motivation der einzelnen Lerner. Besonders am IBAS-Modell sieht man sehr gut, wie viele verschiedene Themen für die Motivation und die Zielsetzung zusammenwirken, z.B. Feedback, Eigenverantwortlichkeit und kognitive Aktivierung. Mir liegen zwei Punkte dabei besonders am Herzen. Zum einen ist es das positive und konstruktive Fehlerklima, bei dem sich jeder, der unterrichtet, fragen sollte, wie er persönlich mit Fehlern umgeht und was sie für ihn bedeuten. Zum anderen ist es das Thema wertschätzender und fürsorglicher Umgang und die Frage, wie man seine Lerner sieht und wie man ihnen gegenübertritt. Vielleicht dient die Liste zum IBAS-Modell so nicht nur als Anleitung zur guten Klassenzielstruktur, sondern kann auch für eine ehrliche Reflexion des eigenen Unterrichts genutzt werden.

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Quellen

Benning, K., Praetorius, A.-K., Janke, S., Dickhäuser, O. & Dresel, M. (2019). Das Lernen als Ziel: Zur unterrichtlichen Umsetzung einer Lernzielstruktur. Unterrichtswissenschaft, 47(4), 523–545.

Dresel, M. & Lämmle, L. (2017). Motivation (StandardWissen Lehramt). In T. Götz (Hrsg.), Emotion, Motivation und selbstreguliertes Lernen (2., aktualisierte Auflage., S. 78–142). Paderborn; Paderborn: Ferdinand Schöningh.

Grassinger, R., Dickhäuser, O. & Dresel, M. (2019). Motivation. In D. Urhahne, M. Dresel & F. Fischer (Hrsg.), Psychologie für den Lehrberuf (S. 207–227). Berlin, Heidelberg: Springer Berlin Heidelberg.