Lerntagebücher – wie man sich beim Lernen selbst unter die Lupe nimmt

Wissen Sie eigentlich, wie Sie lernen? Kennen Sie Ihre Fehler und Motivationskiller? Wissen Sie, warum es beim Lernen manchmal besser läuft oder Sie manchmal einfach nicht vorankommen? Lerntagebücher liefern einen tieferen Einblick und sind eine gute Möglichkeit, das eigene Lernen effektiver zu gestalten.

[Anmerkung zum Text: Ich rede im Text von „Lernern“ und „Lehrern“, gemeint sind damit grundsätzlich alle Geschlechter. Außerdem beziehen sich diese Bezeichnungen nicht nur auf Personen in der Schule, sondern beispielsweise auch auf die Ausbildung und auf alle weiteren Lernumfelder.]

Egal ob beim Sport, beim Abnehmen oder bei Geldausgaben – Tagebücher sind in vielen Bereichen des Lebens ein hilfreiches Mittel, um eigenes Verhalten zu erfassen und zu verändern. Plötzlich sieht man die Wahrheit schwarz auf weiß vor sich (vorausgesetzt, man war beim Notieren immer ehrlich) und hat dann die Möglichkeiten sein Verhalten genauer zu analysieren. Das funktioniert natürlich auch beim Lernen mit einem Lerntagebuch.

Was ist ein Lerntagebuch?

Mit einem Lerntagebuch protokolliert und reflektiert der Lerner sein Lernen regelmäßig.

Dabei kann der Lerner den eigenen Lernprozess auf zwei Ebenen untersuchen.

1.) Die Inhalts-Ebene (kognitiv) = Der Lerner denkt darüber nach, WAS er gelernt hat. Dabei könnte er über folgende Fragen reflektieren:

  • Welche Lerninhalte waren heute neu für mich? Was habe ich Neues gelernt?
  • Welche Lerninhalte kannte ich bereits? Was wusste ich schon? (= Aktivierung von Vorwissen)
  • Wie kann ich das neu gelernte mit meiner Lebenswelt zusammenbringen? Welches Beispiel aus meinem Leben kann ich dazu finden? (= Lernstrategie: Elaborieren)
  • Welche offenen Fragen habe ich noch zum Lernstoff?

2.) Die Selbstbeobachtungs-Ebene (metakognitiv): Der Lerner denkt darüber nach, WIE er gelernt hat. Dabei könnte er über folgende Fragen reflektieren:

  • Wie konzentriert war ich heute beim Lernen?
  • Wie motiviert war ich heute beim Lernen?
  • Welche Lernstrategien habe ich eingesetzt und wie haben diese funktioniert?
  • Welche Ziele habe ich mir gesetzt? Habe ich meine gesetzten Ziele erreicht?
  • Welche Gefühle hatte ich beim Lernen?

Ein Lerntagebuch kann sowohl vor (zur Planung des Lernens) als auch nach der Lerneinheit (zur Reflexion des Lernens) vom Lerner ausgefüllt werden. Somit kann das Lerntagebuch einen wichtigen Beitrag zum selbstgesteuerten Lernen liefern und dieses unterstützen. Wichtig ist jedoch, das Lernen über einen längeren Zeitraum kontinuierlich zu beobachten und das Lerntagebuch zeitnah (zur absolvierten Lerneinheit) und ehrlich auszufüllen. Das bedeutet für den Lerner einen Mehraufwand, der sich jedoch lohnen kann, da man das Lerntagebuch sowohl zur Analyse des eigenen Lernens (= Diagnostik) als auch zur Veränderung des Lernverhaltens (= Intervention) einsetzen kann.

Formate: Wie kann ein Lerntagebuch aussehen?

Hier sind viele verschiedene Variationen denkbar. Das Lerntagebuch kann…

  • ganz frei geschrieben sein, dabei jedoch keine pure Nacherzählung des Gelernten
    (Beispiel: Liebes Lerntagebuch, … ) oder
  • aus geschlossenen Fragen bestehen
    (Beispiel: Zum Ankreuzen: Ich war heute beim Lernen konzentriert: + +/- – ) oder
  • mit offenen Leitfragen ( = Prompts) strukturiert werden
    (Beispiel: Welche Lerninhalte waren heute neu für mich?) oder
  • ein Mix aus verschiedenen Frageformen beinhalten.

Für Lerntagebuch-Einsteiger kann es jedoch hilfreich sein, geschlossene Fragen oder Leitfragen zu verwenden, da das freie Schreiben möglicherweise überfordert.

Wie oft und wie viel ein Lerner in seinem Lerntagebuch notiert, kann ebenfalls variieren. Je nach Interesse und Zielsetzung des Lerntagebuchs müssen auch nicht beide beschriebenen Ebenen (Inhalts- und Selbstbeobachtungs-Ebene) gleichzeitig einbezogen werden. Der Lerner kann darüber hinaus entscheiden, ob er sein Lerntagebuch online, digital oder auf Papier führen möchte.

Einsatzbereiche: Wo können Lerntagebücher genutzt werden?

Der Einsatz von Lerntagebüchern ist in einfacher Form schon ab der Grundschule möglich.

Lerntagebücher im Unterricht, in Kursen, Seminaren oder Trainings

Der Lehrer sollte die Inhalte und das Format der Lerntagebücher den Lerninhalten und den Fähigkeiten der Lerner anpassen. Möchte man Einsicht in die Lerntagebücher der Lerner nehmen, sollte dieses vorher mit den Lernern abgesprochen werden (denn das widerspricht ja dem eigentlichen Tagebuchgedanken).

Die Einsicht in die Lerntagebücher hat jedoch Vorteile für den Lehrer. Er bekommt eine Rückmeldung der Lerner,

  • ob diese die Lerninhalte verstanden haben,
  • welche offenen Fragen bestehen,
  • welche Fehlkonzepte Lerner besitzen,
  • welches Vorwissen Lerner bereits mitbringen,
  • wie motiviert Lerner sind.

Natürlich ist ein ehrlicher Einblick nur möglich, wenn eine Vertrauensbasis zwischen Lernern und Lehrer besteht. Um sicher zu gehen, dass Lerner das Lerntagebuch regelmäßig bearbeiten, sollte dieses eine Relevanz für den Lernprozess besitzen und regelmäßig eingesammelt werden (dazu eignet sich eine digitale Form natürlich besser). Es bedeutet aber gleichzeitig auch Mehraufwand für den Lehrer, der die Lerntagebücher liest und möglicherweise Rückmeldung dazu gibt.

Lerntagebücher zum Selbstlernen

Lerntagebücher können natürlich auch ohne Lehrer von Lernern genutzt werden. Dann braucht der Lerner jedoch mehr Disziplin, um das Lerntagebuch regelmäßig auszufüllen. Online-Versionen, die automatisch grafische Übersichten zum eigenen Lernen erstellen, können helfen, dran zu bleiben. Die kritische Analyse muss man dann natürlich auch selbst durchführen oder sie mit einer anderen Person (z.B. einem Lerncoach) besprechen.

Mein Kommentar:

Ich habe selbst als Dozentin schon Lerntagebücher in Seminaren an der Universität eingesetzt. Daraus habe ich folgende Punkte gelernt:

  1. Die Fragen sollten variiert werden, für die Lerner wird es sonst schnell langweilig.
  2. Es muss deutlich gemacht, werden, dass ein Lerntagebuch nicht einfach ein Stundenprotokoll ist, in dem alle Lerninhalte wiederholt werden, sondern Lernprozesse reflektiert werden sollen.
  3. Ja, es ist aufwändig alle Lerntagebuch-Einträge (Umfang eine A4-Seite) zu lesen.
  4. So haben auch schüchterne Lerner die Möglichkeit Fragen zu stellen (es kamen interessante Fragen auf und es wurde klar, welche Lerninhalte wiederholt werden sollten).
  5. Es war für mich bereichernd, von allen Lernern etwas zu lesen, nicht nur von denen, die sich häufig am Kurs beteiligen.
  6. Das Lerntagebuch sollte nicht bewertet werden.

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Quellen:

Rambow, R. & Nückles, M. (2002). Der Einsatz des Lerntagebuchs in der Hochschullehre. Das Hochschulwesen, 50 (3), 113–120.

Urhahne, D., Dresel, M. & Fischer, F. (Hrsg.). (Heidelberg : Springer Berlin Heidelberg, 2019). Psychologie für den Lehrberuf. Berlin, Heidelberg: Springer Berlin Heidelberg.

Venn, M. (2011). Lerntagebücher in der Hochschule. journal hochschuldidaktik22(1), 9-12.

Wild, E. & Möller, J. (Heidelberg : Imprint: Springer, 2015). Pädagogische Psychologie [Elektronische Ressource] (Springer-Lehrbuch, 2. Aufl. 2015. vollst. überarb. u. aktualisierte). Berlin, Heidelberg: Imprint: Springer.