Egal ob Sport- oder Morgenroutine, Gewohnheiten sind gerade bei all denjenigen sehr angesagt, die was erreichen wollen. Doch welche Rolle spielen Gewohnheiten eigentlich beim Lernen? Lohnt es sich, auch beim Lernen Gewohnheiten zu nutzen?
[Anmerkung zum Text: Ich rede im Text von „Lernern“ und „Lehrern“, gemeint sind damit grundsätzlich alle Geschlechter. Außerdem beziehen sich diese Bezeichnungen nicht nur auf Personen in der Schule, sondern beispielsweise auch auf die Ausbildung und auf alle weiteren Lernumfelder.]
Was sind Gewohnheiten?
Gewohnheiten sind Verhaltensweisen, die an einen bestimmten Kontext gebunden sind – beispielsweise eine bestimmte Uhrzeit, Person, Stimmung, vorangegangene Handlungen oder einen bestimmten Ort. Gewohnheiten laufen automatisch ab und brauchen wenig Aufmerksamkeit und mentale Anstrengung. Darüber hinaus können Gewohnheiten einem ein Gefühl von Sicherheit, Vertrautheit und Wohlbefinden vermitteln.
Wie funktionieren Gewohnheiten?
Um sich Gewohnheiten anzueignen, muss das gleiche Verhalten in einem stabilen Kontext wiederholt ausgeführt werden. Durch die kontinuierliche Wiederholung entsteht eine mentale Verbindung zwischen dem Kontext und dem Verhalten. Anfängliche Ziele und Absichten, ein Verhalten auszuführen, werden dann allmählich mit dem Kontext verbunden. Das bedeutet, während es zu Beginn noch viel Anstrengung braucht, täglich nach dem Abendessen die Vokabeln zu wiederholen, entwickelt sich nach einer Zeit eine Gewohnheit, die man automatisch ausführt. Denn im Gehirn hat sich die Verbindung „erst Abendessen – dann Vokabeln wiederholen“ gefestigt.
Belohnungen können dabei helfen, Gewohnheiten aufzubauen. Die Belohnungen können entweder unmittelbar (z. B. nach dem Vokabellernen sehe ich eine Folge meiner Lieblingsserie) oder aber in ungewissen Abständen (z.B. beim nächsten unangekündigten Vokabeltest erhalte ich eine gute Note) erfolgen. Nachdem eine Gewohnheit gefestigt ist, sind Belohnungen weniger bedeutend.
Gewohnheiten, Ziele und Selbstkontrolle
Gewohnheiten sind auch mit Zielen und Selbstkontrolle verbunden. Bewusste Ziele sind oft der Ausgangspunkt für Gewohnheiten. Ziele können aber auch darauf einwirken, ob Gewohnheiten ausgeführt oder auch blockiert werden. Nicht zuletzt schlussfolgern Menschen oft, dass ihr Gewohnheitsverhalten eigentlich auf bewussten Absichten basiert. Eine starke Gewohnheit funktioniert jedoch unabhängig von Zielsetzungen. So verbringen viele Menschen viel zu viel Zeit mit ihrem Handy, ohne es eigentlich zu wollen.
Den Zusammenhang zwischen Zielen und Selbstkontrolle kann man in diesem Beitrag nachlesen. So lüftet sich das Geheimnis, warum Menschen mit mehr Selbstkontrolle auch mehr erreichen, obwohl sie sich weniger anstrengen müssen. Sie setzen auf Gewohnheiten!
Wie kann man Gewohnheiten verändern?
Leider gibt es nicht nur gute Gewohnheiten, sondern auch schlechte. Hinzu kommt, dass alte Gewohnheiten oft stärker sind als neue Ziele und Absichten. Doch wie kann man dann Gewohnheiten überhaupt verändern? Man muss bei den Punkten ansetzen, mit denen man auch Gewohnheiten aufbauen kann: Kontext, Wiederholung und Belohnung.
Schlechte Gewohnheiten ablegen
Alte Gewohnheiten reaktivieren sich automatisch bei stabilen Hinweisreizen aus der Umwelt (Kontext). Wenn man diese verändern möchte, kommt es weniger auf die Absicht an, sondern es geht mehr darum, gar nicht oder wenig mit den Hinweisreizen in Kontakt zu kommen. Man muss also den Kontext bzw. die Umwelt und die damit verbundenen Hinweisreize verändern, wenn man ungeliebte Gewohnheiten loswerden möchte. Natürlich muss man dafür nicht gleich umziehen oder das berufliche Umfeld oder die Schule wechseln. Es ist ausreichend den spezifischen Hinweisreiz zu erkennen und zu meiden. So kann man das Handy in ein anderes Zimmer legen, während man lernt. Dann ist der Hinweisreiz „Handy“ aus dem Blickfeld.
Gute Gewohnheiten aufbauen
Möchte man gute Gewohnheiten aufbauen braucht man hingegen einen unterstützenden Kontext. Gewohnheiten bilden sich am besten, wenn man sie einfach und ohne großen Aufwand in einem stabilen Kontext (gleicher Ort, gleiche Zeit) ausführen kann. Dann braucht es meist mehrere Wochen der Wiederholung bis aus einem Verhalten eine Gewohnheit wird. Auch bereits bestehende Gewohnheiten (z.B. Zähneputzen oder Mahlzeiten) können als Hinweisreize dienen. Außerdem ist es hilfreich, wenn man seine Umwelt so verändert, dass die Hinweisreize deutlicher zu erkennen sind.
Auch Belohnungen sollten einbezogen werden. Intrinsische Belohnungen sind dabei besser als zu erwartende, externale Belohnungen. Natürlich kann man auch weniger attraktives Verhalten mit Lieblingsverhalten verbinden (z.B. Lieblingsmusik beim Krafttraining hören).
Gewohnheiten und Lernen – ein erfolgreiches Team?
Wenn Lerner selbstreguliert lernen sollen, werden dabei oft die Faktoren Motivation und Metakognition betont. Doch auch Gewohnheiten können Lerner unterstützen, sich beim Lernen besser zu regulieren. Gerade Motivation und Anstrengung sind besonders wichtig, wenn man mit einem neuen Verhalten beginnen möchte. Um ein Verhalten jedoch langfristig aufrecht zu erhalten, ist es nützlicher, mit Gewohnheiten zu arbeiten.
Ähnlich ist es, wenn Lerner sich schwer damit tun, effektive Lernstrategien selbstständig anzuwenden. Dabei müssen Lerner nicht nur die neue Strategie einüben, bis sie zur Gewohnheit geworden ist, sie müssen auch bisherige Gewohnheiten abbauen. Denn besonders unter Zeitdruck oder bei Stress verfällt man schnell wieder in alte automatische Gewohnheiten.
Gewohnheiten und Lernverhalten
Bisher gibt es leider nur wenige Studien, die Gewohnheiten beim Lernen untersucht haben. Mit Lerngewohnheiten ist dabei nicht gemeint, dass Lerner effektive Lernstrategien kennen oder deren Motivation, eine Aufgabe zu bearbeiten. Gemeint ist, dass Lerner regelmäßig lernen oder bestimmte Lernstrategien in spezifischen Kontexten einsetzen. Gewohnheiten erklären auch die Lücke zwischen „ich nehme mir vor zu lernen“ und dem tatsächlichen Lernverhalten.
Was können Lerner tun, um Lernen zur Gewohnheit werden zu lassen und regelmäßig zu lernen? Lerner sollten ihre Umwelt so strukturieren, dass Lernen sich auszahlt (Stichwort: Belohnung) und einfach in einem stabilen Kontext ohne Ablenkungen wiederholt werden kann. Wenn Lerner dieses Lernverhalten dann über mehrere Wochen wiederholen, können sie sich auf die Hinweisreize aus ihrer Umgebung verlassen und sind nicht mehr auf ihre Motivation angewiesen, um das Lernen zu beginnen.
In Studien zeigte sich, dass Lerner, die Gewohnheiten beim Lernen entwickelt hatten, weniger Konflikte zwischen Lernzielen und Freizeitzielen empfanden und bessere Leistungen zeigten. Durch die Wiederholung von Lernverhalten und den dabei entstehenden Automatismus schwächen sich Willenskonflikte und motivationale Durchhänger ab. Das ist ein wichtiges Ergebnis, wenn man bedenkt, dass Lerner oft Schwankungen in ihrer Lernmotivation erleben.
Gewohnheiten, Lernen und Technologienutzung
Auch beim Einsatz von Laptops, Handys oder Tablets beim Lernen bringen viele Lerner schon Gewohnheiten in Bezug auf diese Endgeräte mit, die dann wiederum das Lernen beeinflussen können. Das gleiche gilt natürlich auch, wenn Lerner sich Lernvideos ansehen. Auch dabei können sie durch ihre Internetgewohnheiten abgelenkt werden.
Die Lernzeit im Unterricht kann ebenfalls durch die Handygewohnheiten der Lerner gestört werden. Lernern, die einmal Handygewohnheiten im Unterricht entwickelt haben, reicht dann die Verfügbarkeit des Handys (= Hinweisreiz) während der Unterrichtszeit aus, um das Handy zu nutzen.
Mein Kommentar
Gewohnheiten wurden in den letzten Jahren in der Pädagogischen Psychologie nicht so stark erforscht. Das liegt vermutlich an der Verbindung zur Verhaltenspsychologie – man fühlt sich schnell „dressiert“ bei dem Thema: Man bekommt einen Hinweisreiz, macht einen Trick und bekommt sein Leckerli. Aber wenn man sich mal genau beobachtet – man ist eben doch ein Gewohnheitstier mit innerem Schweinehund. Aus welchem anderen Grund parken Leute jahrelang immer gern auf dem gleichen Firmen-Parkplatz? Weil es einfach ist und dem Gehirn Energie spart. Immer wieder neu Entscheidungen zu treffen (Lerne ich jetzt oder später oder erst morgen?), ist anstrengend und kostet Energie. Immer wieder das Gleiche zu tun, spart Energie und man kann diese für Wichtigeres einsetzen, z.B. fürs Lernen selbst. Die Frage, ob man dann gerade fürs Lernen motiviert ist, stellt sich gar nicht. Man folgt einfach der Gewohnheit. Gewohnheiten sind also gar nicht so schlecht, wenn es die richtigen sind.
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Quelle
Fiorella, L. (2020). The Science of Habit and Its Implications for Student Learning and Well-being. Educational Psychology Review, 32(3), 603–625. https://doi.org/10.1007/s10648-020-09525-1